50 Jahre Anti-Terror-Ausbildung der Schweizer Polizei

Nach 50 Jahren trafen sich „Männer der ersten Stunde“ des ersten Anti-Terrorkurses in unserem Land im Beisein von Ehrengästen zu einem würdigen Gedenktag in Aarau.

Von den ehemals etwas über 50 Teilnehmern nahmen 13 am Anlass im Polizeikommando teil. Ausschlaggebend für die Einführung des polizeilichen Anti-Terrorkurses war die blutige und brutale Terrorspur Gruppierungen wie „Al Fatah“, „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ (PFLP) und „Schwarzer September“ in Europa.

Das Attentat bei den olympischen Spielen von 1972 in München zeigte die Notwendigkeit eindringlich auf. In ganz Europa wurden bei der Polizei Spezialeinheiten gegründet, in Deutschland die GSG 9. In der Schweiz war die SE „Enzian“ aus Bern bereits im Frühjahr 1972 im Zusammenhang mit dem Jurakonflikt aufgestellt worden. Die anderen Kantone und die Städte Bern und Zürich folgten dem Beispiel nach dem ersten Anti-Terrorkurs von 1974 auf dem Grenadier-Waffenplatz in Isone.

1969 eröffneten Al Fatah Attentäter in Kloten das Feuer auf eine EL AL Maschine; der Copilot verstarb im Kugelhagel. 1970 stürzte in Würenlingen nach der Explosion einer Paketbombe eine Coronado mit 47 Personen ab. Im gleichen Jahr wurden drei Maschinen der SWISSAIR, der TWA und BOAC durch die PFLP nach Zerka in Jordanien entführt und dann gesprengt. Am 4. September 1972 attackierte der Schwarze September die israelische Delegation im Olympiadorf in München. Der Polizeieinsatz missglückte und die Bundesregierung unter Kanzler Willy Brand reagierte schnell. Innenminister Genscher beauftragte seinen Begleitoffizier Oberstleutnant Ulrich Wegener des Bundesgrenzschutzes mit der Aufstellung der Sondereinheit GSG 9. Bereits am 1. November startete die Ausbildung nach einem harten Auswahlverfahren in Hangelar bei Bonn. Geburtshelfer waren israelische AT-Spezialisten und die englische Armeeeinheit SAS.

Die Schweiz zieht nach

Auf Initiative von Bundesrat Kurt Furgler, Chef der EJPD, reiste im Januar 1973 eine hochkarätige Delegation zu einem Augenschein nach Bonn. Danach wurde innert einer Woche ein geeigneter Polizeioffizier für eine dreimonatige Hospitation ab Februar bei der GSG 9 rekrutiert. Dessen Schlussbericht an den Vorsteher des EJPD und die Polizeikommandantenkonferenz führte zum Entschluss, die Schweizer Polizei zügig für die Terrorismus-Bekämpfung einsatzbereit zu machen.

April 1974 in Isone: Polizeiinstruktoren mit Unterstützung der Armee starten mit der Anti-Terror-Ausbildung

Im April 1974 rückten etwas mehr als 50 von den jeweiligen Polizeikommandanten ausgewählte Polizeikader in die Grenadierkaserne ein. Es herrschte ein fordernder Arbeitsrhythmus, denn innert vier Wochen mussten die Grundlagen für die zukünftigen Ausbildner in den Kantonen und Städten Bern und Zürich vermittelt werden. Dazu gehörten u.a. praxisnahes Schiessen mit Pistole und Maschinenpistole, eine neue Doktrin für Scharfschützen, Sprengen, Häuserkampf, Seiltechnik, waffenloser Nahkampf, mobile Einsatzübungen mit Unterstützung der Kapo Tessin unter Einsatz von Helikoptern und technischen Mitteln usw. Das vierwöchige Training wurde mit einer theoretischen und einer praktischen Prüfung abgeschlossen. Mit dem Erwerb des Anti-Terror-Brevet des Schweizerischen Polizeiinstitutes war die Ermächtigung zur Spezialausbildung und Leitung von Übungen verbunden, analog dem Nahkampfbrevet der Armee.

Kantonale, regionale und städtische Sondereinheiten

In der Folge wurden landesweit Sondereinheiten aufgestellt, teils zuständig für das ganze Gebiet des jeweiligen Polizeikonkordates. Hervorzuheben ist als Novum eine nationale einheitliche Doktrin, welche im Ernstfall auch eine unkomplizierte ausserkantonale Verstärkung ermöglicht. Es erwies sich später als notwendig, die Ausbildungsmodule um das Thema „Personenschutz“ zu erweitern.

Internationale Verbindungen

Der Chef der GSG 9 besuchte mehrmals die Kurse in Isone und der erste Kommandant der österreichischen „COBRA“ absolvierte sogar einen ganzen Kurs im Tessin. Daraus ergaben sich regelmässig wichtige gegenseitige Beamtenaustausche. Sehr aktiv waren die Kantone Aargau, Bern und Zürich. Abkommandierungen sorgen bis zum heutigen Tag für einen breiten Einsatzhorizont und den schnellen vertraulichen Austausch von Erfahrungen. Auf Kommandantenebene gab es institutionalisierte Arbeitstreffen mit Einbezug des FBI (Hostage Rescue Team), SEAL Six (US Navy) sowie mit dem französischen (GIGN), italienischen (GIS) und spanischen Einsatzkommando (GEO). Symposien für Einheitsführer und Kader fanden 1985 und 2019 in Aarau statt. Mit der Aufnahme der Schweiz in den ATLAS-Verbund der EU verfügt unser Land über direkte, institutionalisierte Kontakte mit 38 europäischen Sondereinheiten.

Schweizer Einheiten vorne dabei an Vergleichswettkämpfen

Bei internationalen Vergleichswettkämpfen mit komplexen Aufgabenstellungen haben die Schweizer Teams immer gut abgeschnitten. Die Aargauer „ARGUS“ siegten beispielsweise 1999 und 2019 und die Berner „ENZIAN“ 2023 am Standort der GSG 9.

Pionierarbeit der „Männer der ersten Stunde“

Was vor 50 Jahren begann ist heute als polizeiliche Erfolgsgeschichte zu bezeichnen. Die Sondereinheiten haben sich bei Einsätzen bewährt. 1982 war die Befreiung von Geiseln in der besetzten polnischen Botschaft in Bern durch die SE „STERN“ der Stadtpolizei eine erste markante und international beachtete Sternstunde.

Die schon arg ergrauten Pioniere einer prägenden polizeilichen Entwicklung und einer hohen nationalen sicherheitspolizeilichen Einsatzbereitschaft von internationalem Standard haben nach 50 Jahren einen „letzten Appell“ und eine Würdigung ihrer Pionierarbeit redlich verdient.

Das Schweizerische Polizeiinstitut und das Polizeikommando Aargau haben den Gedenkanlass mit einem Rück- und Ausblick sowie einer Totenehrung wohlwollend unterstützt.

Ehrengäste

Als Ehrengäste waren der Kommandant der Kantonspolizei Aargau und der neue Präsident der Polizeikommandantenkonferenz KKPKS Oberst Matteo Cocchi von der Kapo Tessin, auch in seiner Eigenschaft als Vertreter der Schweiz im ATLAS Verbund der EU, anwesend. Direktor Stefan Aegerter des Schweizerischen Polizeiinstitutes würdigte den wichtigen Beitrag seiner Institution gestern und heute. Als Vertreter der Militärpolizei reisten der designierte neue Kdt Brigadier Christian Sieber und Brigadier Jürg Noth, ehemaliger Kdt des Schutzdetachementes des Bundesrates und des GWK nach Aarau.

Das Organisationskomitee:

Léon Borer, ehem. Kdt Kapo Aargau
Jacques Künzi, ehem. Chef Kripo der Kapo Genf
Andre Zumsteg, ehem. Chef Sicherheitspolizei der Kapo Aargau

 

Quelle: Kantonspolizei Aargau
Titelbild: Symbolbild © Cahid Ahmed – shutterstock.com

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